Gründerjahre
Gründerjahre des Rassegeflügelzuchtvereins
Algermissen und Umgebung
von Gerhard Schütte
Um 1900 begann die Ära der organisierten Rassegeflügelzucht in Algermissen mit der Zucht der gelben Italiener und der Hannoverschen Tümmler-Hochflugtaube. Aber auch andere Rassen, darunter recht seltene, werden bis heute noch gezüchtet. Aus den Anfängen mit kleinen Ausstellungen und Vereinsvergnügen hatte sich der Verein im Laufe der letzten Generationen zu einer recht aktiven Gemeinschaft empor gearbeitet. Die Rassegeflügelschauen stehen dafür jeweils im Herbst Pate. Vor allem waren es die überregional so bedeutenden die Zuchtstamm-, Bruteier- und Kükenschauen, die im April Tausende von Interessenten anlockten. Presse, Funk und Fernsehen berichteten darüber.
Ahnenforschungen lieferten den Beweis: Im vorletzten Jahrhundert blühte im Dorf der Handel mit Obst, Gemüse, Tauben und Hühnern. Besonders aber warb damals stolz und zugkräftig die „Algermissener Hafermastgans“ für den Unterhalt vieler Groß- und Urgroßväter. Bis zu 130 000 dicke, fette Mastgänse sollen es einmal in den Zeiten vor- und nach dem ersten Weltkrieg gewesen sein (siehe Kapitel I). 1901 ist der „Verein für Geflügel- und Singvögel-Zucht Algermissen und Umgebung“ offiziell gegründet worden.
Initiator: Tierarzt Heinrich Gott
Das Interesse der Bevölkerung an Geflügel war in den beiden damals noch selbständigen Dörfern Groß- und Klein Algermissen sehr groß. 22. Oktober 1901: Der Tierarzt Heinrich Gott aus Lühnde, auf allen Höfen rund um Algermissen bekannt, lud die Interessenten der Geflügelzucht zu einer Versammlung in das Gasthaus „Zur Post“ nach Algermissen ein. Er selbst überraschte mit dem Vortrag über „Geflügel und Singvögel“. Die offizielle Gründung des „Vereins für Geflügel- und Singvögel-Zucht Algermissen und Umgebung“ geschah an diesem Abend.
Gründungsprotokoll
Zur Gründung eines Vereins für Geflügelzucht hatten sich am heutigen Tage mehrere Herren von hier und Umgebung zusammen gefunden im Gasthaus zur Post. Herr Tierarzt Heinrich Gott, Lühnde, eröffnete die Versammlung mit einem sehr lehrreichen Referat über Geflügel und Singvögel, welche von der Versammlung mit großem Interesse verfolgt wurde.
Sodann wurde sogleich zur Gründung des Vereins geschritten und erhielt den Namen Geflügel- und Singvögelzucht-Verein Algermissen und Umgegend. Sodann wurde der Vorstand p. Akklamation gewählt und zwar folgende Herren:
Vorsitzender H. Gott, Tierarzt, Lühnde - stellv. Vorsitzender Chr. Bettels, Schlachtermeister, Gr. Algermissen,
Schriftführer W. v. Eime, Kl. Algermissen - Schriftführer M. Schütte, Gr. Algermissen
Kassierer H. Pröve, Gr. Lobke - Kassierer G. Machens, Gr. Algermissen
Beisitzer F. Grote, Kl. Algermissen, Multhaupt, Clauen, W. Himberg, Clauen
welche die Wahl mit Dank annahmen. Es wurde beschlossen, dass der Vereins-Abend jeden 1. Dienstag im Monat stattfinden sollte. Der jährliche Beitrag wurde auf 3 Mark festgesetzt. Als Fachzeitung wurde die Allgemeine Deutsche Geflügelzeitung angenommen und ein Exemplar dieser Fachzeitung soll im Vereinslokal ausgelegt werden. Als Vereinslokal wurde das Gasthaus „Zur Post“ bestimmt, in Algermissen.
Weitere Mitglieder
Das erste Protokollbuch aus den Anfangsjahren berichtet über die Aktivitäten Interessantes. Schriftführer Wilhelm von Eime führte sein Amt gewissenhaft aus. Zwei Wochen nach der Vereinsgründung ließ der Vorstand 200 Satzungen und 200 Mitgliedskarten drucken. Auch aus den umliegenden Ortschaften meldeten Geflügelzüchter spontan ihren Beitritt an: Aus Klein Lobke der Molkereibesitzer A. Gieseke, aus Groß Lobke der Gastwirt C. Hornburg, aus Clauen A. Kenter und Heinrich Deierling, aus Machtsum der Landwirt Heinrich Hartmann. Weitere neue Mitglieder aus Algermissen: Joseph Machens, Edmund Schütte und Buchhalter Cabelitz. Den Mitgliedern wurde die Mitgliederkarte gegen Zahlung des Beitrages mit 3 Mark 50 Pfennig vom 22. Oktober 1901 bis 31. Dezember 1902 gereicht sowie ein Exemplar der Satzung zugestellt. Der Vereinsabend am 4. März war zahlreich besucht und folgendes Geflügel zur Verlosung ausgestellt: 1 silberfarbiger Italiener-Hahn, 1 goldgesprenkelter Hamburger-Hahn, 1,1 Brahma Huhn & Hahn, 1,1 weiße Hochschwanz-Tauben. Ein Überschuss von 2 Mark 90 Pfennig wurde erzielt und der Kasse zugeführt.
Diskussionen über Pferde und Pferdehandel
Die Algermissener Züchter beschickten 1902 die ersten Schauen mit Tieren. Erfolge gab es bereits bei der Hannoverschen Geflügelausstellung. In einem Inserat der Deutschen Geflügelzeitung bot Großvater Christoph Bettels gleich danach Bruteier von seinen gelben Italienern an. Bei den monatlichen Versammlungen stand auch die Gemütlichkeit ganz weit vorn. Hierzu ein Ausschnitt aus den alten Protokollen: „Die Versammlung war sehr gemütlich und die Mitglieder zeigten viel Humor und bleiben auch sehr lange“. Ein weiterer Auszug: „Mit den verzogenen Herren Himberg und Schütte wurde gefeiert, das Essen war vorzüglich, der Wein gut, und manches Lied gesungen. Am besten war das Lied „Hinaus mit der Mutter in die Frühlingsluft“. Am 3. Mai 1903 beschwerte sich sogar der Schriftführer über das Thema der Züchterversammlung: „Nicht über Geflügel und Singvögel wurde gesprochen, sondern ausführlich über Pferde und Pferdehandel diskutiert“.
Auszug aus dem Protokollbuch: Die Versammlung war gut besucht, die Einladung war durch Karten gemacht worden. Die Versammlung wurde nicht eröffnet, es wurde über Pferde und Pferdehandel gesprochen, Herr Bettels war Hauptreferent. Herr Heulhek unterstützte die Sache sehr und Herr Gott gab seinen wohlstimmenden Rat dazu und das liebe Hühnervieh wurde dem ganz und gar nicht erwähnt, welches wie es scheint, einige Mitglieder verstimmt hat, zumal das neue Mitglied Heinrich Grote, welcher zum ersten Male anwesend war, in der Erwartung über Hühner zu hören, und nun diese Enttäuschung.
Die Algermissener Geflügelzüchter boten 1905 gleich mehrmals in der Deutschen Geflügel-Zeitung Bruteier jeweils im Dutzend an: Gold-Wyandotten und Silber-Wyandotten zu 6 Mark, Peking-Enten zu 6 Mark, silberfarbige Dorking zu 4 Mark, gelbe und weiße Italiener zu 4 Mark und weiße Wyandotten zu 4 Mark.
Generalversammlung 1908
Auszug aus dem Protokollbuch vom 15. Februar 1908:
Zu der heutigen Generalversammlung waren sämtliche Mitglieder erschienen. Auf der Tagesordnung standen
1. Rechnungsvorlage
2. Vorstandswahl
3. Essen
Die Rechnungsablage wurde in Einnahme und Ausgabe verglichen und von den Herren Grote und Grefe für richtig befunden, worauf dem Kassierer Herrn Pröve Entlastung erteilt wurde. Punkt 2 Vorstandswahl: Als Vorsitzender Chr. Bettels, hier, als Stellvertreter E. Knop, als Schriftführer W. v. Eime, als Stellvertreter W. Hartmann, als Kassierer Jof. Wirries, als Stellvertreter H. Pröve, Groß Lobke, und H. Grefe, Lühnde, als Beisitzer H. Grote und H. Göbbels. Und es wurde die Wahl der Gewählten und der Wiedergewählten angenommen und dann die Sitzung vom Vorsitzenden für aufgehoben erklärt und dann wurde zum Essen gegangen.
Auflösung des Vereins abgelehnt
Acht Jahre nach der Gründung des „Vereins für Geflügel- und Singvögel-Zucht Algermissen und Umgebung“ stand der Antrag einer Auflösung des Vereins auf der Tagesordnung der Generalversammlung am 14. Februar 1909. Dazu berichtet das Protokollbuch: Zu der auf heute Abend angesetzten Generalversammlung waren nicht alle Mitglieder anwesend. Auf der Tagesordnung stand der oben angegebene Punkt.
Punkt 1. Antrag Knop, Aufhebung des Vereins. Der Herr Vorsitzender ließ über diesen Punkt durch Stimmzettel abstimmen. Das Ergebnis der Abstimmung war, dass der Verein bestehen bleiben sollte. Nach diesem Ergebnis wurde dann wie oben auf der Tagesordnung vorgeschrieben ist, fortgefahren.
Punkt 2. Vorstandswahl. Sämtliche wurden per Akklamation wieder gewählt und nahmen die Wahl an. Dann fand die alljährliche Verlosung der Bruteier statt. Gewinner war Herr Grefe, Lühnde.
Punkt 2 Antrag Knop. Ankauf von Bruteiern und deren Verwendung. Es wurde beschlossen, dass 6 Mark dazu ausgesetzt wurden, wofür der Gewinner sich gutes Material anschaffen sollte. Es wurde sofort zur Verlosung der 6 Mark geschritten. Gewinner wurde Chr. Bettels.
Mitglieder 1923
Verzeichnis der Mitglieder des Vereins für Geflügel- und Singvögelzucht Algermissen und Umgebung im Jahr 1923:
1. Chr. Bettels, 1. Vorsitzender
2. Wilh. Göbbels, 2. Vorsitzender
3. Th. Meyer, 1. Schriftführer
4. Math. Göbbels, 2. Schriftführer
5. Jos. Knieke, 1. Kassierer
6. Heinr. Wichmann, 2. Kassierer
7. Heinr. Grote, Beisitzer
8. Bernh. Göbbels, Beisitzer
9. Joh. Voges, Beisitzer
10. Henry Aschemann, Revisor
11. Fr. Taubeler, Revisor
12. Chr. Göbbels
13. Andr. Löffler
14. Carl Weiterer
15. Carl Heulhek
16. Simon Kruse
17. Joh. Becker
18. Jos. Uthoff
19. Chr. Machens
20. H. Pröve, Groß Lobke
21. Aug. Springmann
22. Franz Bettels
23. H. Reeke
24. H. Machens
25. H. Wichmann (Nr. 28)
26. Chr. Algermissen (Nr. 37)
27. Joh. Taubeler
28. Chr. Algermissen (Nr. 20)
29. H. Garbs
Dörfliche Bilder aus dem Gründerjahr des RGZV Algermissen und Umgebung
Dörfliche Idylle Anno 1901. Ein Gänsepulk auf der Hottelner Straße/Ecke Heerstraße.
1901 noch dörflich, die Kreuzung Heerstraße /Hottelner und Neue Straße. Allerdings war dieser Bereich damals ein Zentrum von Handel, Gewerbe und Handwerk: Speichenmacher, Tuppenbinder, Steinmetz, Schuster, Sattlermeister, Gänsemäster, Kiepen- und Botenfrau, zwei Gasthäuser mit Pferde-Ausspann, Saal und Übernachtungen, eine Weißbier-Brauerei, Apotheke und ein Landarzt. Heute ist davon nichts mehr da.
Der Bahnübergang an der Marktstraße, anno 1900. Kutschen und Pferdegespanne prägten zur Kaiserzeit noch die Dorfstraßen.
Erstaunlich, denn in Algermissen gab es insgesamt vier Bahnhöfe, darunter ein Güterbahnhof. Hier wird um 1900 Kali auf Pferde-Fuhrwerke verladen.
Ein Original, der Nachwächter Ernst Rofkahr im Gründungsjahr des RGZV. Tagsüber fuhr er im Dorf für Kaufleute und Handwerker Frachtgut mit Esel- und Hundegespann aus, erledigte Botengänge, zündete und löschte die Straßenlaternen und sang in der Neujahrsnacht vor den Haustüren lautstark
die erste Strophe von dem uralten „Lied zum Jahreswechsel“.